Stricken macht süchtig
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Über mich: Stricken macht süchtig

Nachtschicht-Stricken für den einen Moment

Stricken macht süchtig. Das wusste schon meine Oma. Als Kind habe ich jedes Jahr Winterpullis von ihr bekommen. Sie hat sie nach den Vorstellungen meiner Mutter, ihrer Schwiegertochter, gemacht. Ich erinnere mich vage an Gespräche über Farben und Schnitte, zu welchen Hosen sie passen sollten und dass dabei irgendwie ein Sparsamkeitsgedanke eine Rolle spielte. Obwohl das Material, die Wolle, damals auch schon nicht mehr günstiger war als der fertig gekaufte Pullover. Gar keine Rede von den Arbeitsstunden. Heute denke ich, meine Oma wollte einfach gern etwas zu unserer Kleidung beitragen. Und zwar auf ihre eigene, persönliche und kreative Art.

Später bin ich selbst mit Bildern aus Zeitschriften zu meiner Großmutter gekommen. Habe ganze Seiten aus Modemagazinen herausgerissen und gesagt: „Schau Oma, so einen hätte ich gern.“ Und zwei, drei Wochen später hatte ich dann auch so einen.

Stricken macht süchtig. Das wusste bereits meine Großmutter. Das ist der letzte Pullover, den sie mir gestrickt hat. Danach habe ich selbst gestrickt.

Omas Pullover

An einen bestimmten Pullover erinnere ich mich besonders gut. Er war dick und warm und hatte eine spezielle Farbe, irgendetwas zwischen hellblau und taubengrau. Er war oversized, in einer Kombination aus Zopf- und Patentmuster und am Stehkragen gab es einen Reißverschluss. Ich weiß das auch deshalb so genau, weil es ein Foto davon gibt. Wir zwei sitzen auf ihrem Diwan in der Küche. Der Diwan war gerade so groß, dass eine Person darauf ein Mittagsschläfchen halten oder ein Enkelkind darauf übernachten konnte. Es war der Platz, an dem man las oder strickte, es gab ein „Leselicht“ und man setzte sich für Fotos darauf. Ich glaube, dieser Pullover war das letzte große Stück, das sie mir gestrickt hat. Danach habe ich selbst gestrickt. Die Grundlagen hatte ich in der Schule gelernt. Aber die Freude und die Lust am Stricken, das habe ich von meiner Großmutter.

Der Pullover wächst unter meinen Händen

Ich liebe es: Zuzusehen, wie ein Werkstück unter den eigenen Händen entsteht. Wie sich ein Muster oder ein Farbverlauf entwickelt. Wie das Gestrickte die Form annimmt, die der menschlichen Anatomie entspricht. Am liebsten arbeite ich nach Anleitungen, bei denen sich das ganze Kleidungsstück aus einem einzigen Teil formt. Bei Socken ist das ja immer so. Zuerst das Bündchen, dann die Ferse, dann das Käppchen. Oder man macht es umgekehrt und startet mit der Spitze.

Bei Pullovern und Jacken geht das aber auch: Man beginnt mit dem Maschenanschlag für den Nacken, dann entwickelt sich die Arbeit durch Zunahmen über die Schultern, an der Achsel werden die Ärmel abgeteilt und so weiter. Bis das ganze Stück am Ende ohne Naht von den Nadeln gleitet. Und dann gleich wieder das nächste angeschlagen wird. Ich könnte das hier ewig weiterbeschreiben. Und alle, die das gleich erleben, wissen: Stricken macht süchtig.

Nur noch eine Reihe … Stricken macht süchtig

Das Gefühl, die allerletzte Masche zu stricken, ist unbeschreiblich. Für diesen einen Moment stricken sich weltweit Menschen durch die ganze Nacht. Und aus diesem Grund haben Anleitungen auch so schöne Namen wie der vermutlich tausendfach gestrickte Night Shift-Shawl einer amerikanischen Strick-Designerin. Oder Night groove, ein Nahtlos-Jacquard-Pulli meiner liebsten deutschsprachigen Strickkünstlerin. Bei diesen Modellen braucht man zum Schluss nur die losen Fadenenden einzuweben.

Die Geduld aufzubringen, das neue Lieblingsteil vor dem ersten Tragen vorsichtig zu waschen, mit Nadeln auf Moosgummiplatten zu pinnen und zu warten, bis es sich in Form getrocknet hat — das ist abschließend die größte Herausforderung. Je nach Wolle und Wetter kann das schon ein, zwei oder auch drei Tage dauern.

Was würde meine Großmutter heute zu meinen Pullovern sagen?

Ich kann mir vorstellen, dass meiner Oma das zu viel des Aufhebens für einen neuen Pulli gewesen wäre. Oder vielleicht auch nicht? Denn auch sie wusste: Stricken macht süchtig. Ich wüsste gern, was sie zu dieser neuen Art zu stricken gesagt hätte. Sie selbst hat bis ins hohe Alter gestrickt. Am Ende zwar nur mehr kleine Stücke, aber sie hat gestrickt. Ein Paar Socken von ihr habe ich noch.

Karin Bachmann 04

Fotos: Birgit Pichler

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12 Comments

  • Anna Pfandler

    Hallo, liebe Karin!
    Habe gerade “ALTESWISSENNEU” entdeckt und bin sehr erfreut über deine Beiträge.
    Ganz besonders gefiel mir der Bericht über deinen Besuch bei der Bergbäuerin!
    Ich selbst habe 30 Jahre Handarbeiten im Pflichtschulbereich unterrichtet und viele Techniken mit meinen Schülern
    “ausprobiert”. Der Gedanke, altes Wissen nicht zu vergessen, war mir auch immer sehr wichtig!
    Jetzt, der Pension, hab ich in meinem Dorf einen KREATIV – STAMMTISCH gegründet.
    Hier wird gestrickt, gehäkelt, gestickt, Meinungen und Anleitungen ausgetauscht, gezeigt und erklärt.
    Wir haben viel Spaß am gemeinsamen Tun!
    Sende dir liebe Grüße, herzlich
    Anna

    • Karin

      Liebe Anna,

      vielen Dank für deine Nachricht, das freut mich. Ich finde das ganz toll, dass du einen Kreativ-Stammtisch organisierst. Da kann man sich dann austauschen und kann die Freude am Kreativ-Sein teilen.

      Wenn du möchtest, kannst du hier gerne auch den Ort und einen Kontakt angeben, falls noch weitere TeilnehmerInnen willkommen sind.

      Alles Gute und liebe Grüße,
      Karin

  • Barbara

    Liebe Karin,
    hab den Kontakt von der Brigitte erhalten, da ich auch das alte Wissen lehre!
    Bei mir geht es vor allem um das Haltbarmachen und leben ohne Strom. Die einfache Verarbeitung der Naturgeschenke lehre ich in Kursen, bei versch. Vereinen, uvm
    Heuer biete ich monatlich Ausflüge an, wo ich meine Kursteilnehmer und sonstige tolle Leute hier in Tirol besuche und vernetze:)

    Ein persönliches Treffen wäre sicher mal schön.
    lg Barbara

  • Pogotz Roswitha

    Kann deine Sucht sehr gut verstehen und ich finde es ganz toll, dass du andere daran teilhaben lässt.
    Meine Sucht ist die Klosterarbeit und das Goldband sticken.
    Weiterhin viel Freude und Spaß! Nur weiter so 😉

    Herzlichst Roswitha

    • Karin

      Liebe Roswitha, wie schön — Klosterabeit können nur mehr wenige Menschen! Das ist ein schönes und anspruchsvolles Hobby. Wünsch dir weiterhin viel Freude 🙂 LG, Karin

  • Inessa

    Hallo, deine Seite hat mich motiviert wieder mit Socken stricken anzufangen.😊Danke.
    Meine Hürde war das bekannte Fersenloch.
    Also auf ein Neues.
    In diesem Beitrag hast du ein Bild von einer Strickleggins. Darf ich fragen nach welcher Anleitung du sie gemacht hast? Welche Wolle hast du benutzt? Sockenwolle ? Und leiert sie arg aus an den Knien?
    Sei lieb gegrüßt.

    Inessa

    • Karin

      Hallo Inessa, das freut mich aber! Dann viel Spaß beim Socken-Stricken. Die Leggins habe ich nach einer Gratis-Anleitung von Drops-Design gemacht. Die findest du sicher. Ich habe eine dicke Sockenwolle aus Schulwolle verwendet. Aus heutiger Sicht würde ich ein Merino-Sockengarn verwenden, an den Beinen kratzt die normale Schurwolle doch sehr. Und da kann ich gleich Werbung für meine eigene handgefärbte Merino-Wolle machen 😉 Schau mal, diese hier würde gut für die Leggins passen: dicke Sockenwolle Meine Hose ist nicht an bestimmten Stellen ausgeleiert, aber ein bisschen weiter geworden. Ich empfehle dir auf jeden Fall eine Maschenprobe, die du wäschst und spannst, bevor du mit der Hose beginnst. Alles Liebe, Karin

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