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Handwerk,  Menschen

Stoffkunde: 3 Generationen und eine Weberei

Martin Stern führt die Weberei in Neustift in dritter Generation.

Über ein paar Treppen gelange ich in ein tiefergelegtes Stockwerk in eine kleine Werkstatt. Hier weben Männer der Familie Stern seit drei Generationen: es ist ein Raum mit einem alten Riemenboden aus breiten, dicken Brettern. Drin stehen zwei Webstühle, ein kleiner aus Vollholz, der andere eine komplizierte Konstruktion aus dunklem Schmiedeeisen.

An den Wänden stehen Ballen aus Schafwollschnüren und bunte Stoffreste, alles farblich sortiert. Überall liegt fingerdicker Staub von zerfallenen textilen Fasern. Der Geruch erinnert mich an meine alte Paff-Nähmaschine, die ich von meiner Mutter geerbt habe. Hier kommt es wohl von dem Nebeneinander aus Schafwolle und Maschinenöl. An einer Stange hängen gewebte Teppiche, es gibt ein Regal mit gestapelten Sitzkissen. Die Werkstücke wirken robust. Hier bekommt man echtes Handwerk für den täglichen Gebrauch. Die Farbauswahl zeugt von Geschmack und die Form von einem feinen Sinn für Proportionen.

Die Treppe nach unten führt in eine andere Welt

Webmeister und Hobbyhistoriker

Mit seiner Werkstätte, die Martin Stern nun schon in der dritten Generation führt, hat er eher zufällig genau den Zeitgeist getroffen. Er hätte ohnehin nie einen anderen Beruf ergriffen als das Weben. Nach der Pflichtschule hat er ein paar Sachen ausprobiert und ist dann aber beim Weben geblieben, das er von seinem Vater und Großvater gelernt hat.

Schon als Bub ist er in der Weberei gesessen und hat ein paar Farbstreifen weben dürfen. Offizielle Ausbildung zum Webmeister hat er keine, für die Gewerbeanmeldung hat er eine Ausnahmegenehmigung bekommen. „Am Anfang war es schon hart.“ Aber mit der Zeit hat er sich etabliert. Zu Beginn hat er neben dem Weben alle möglichen Zusatzleistungen angeboten, wie zum Beispiel Wolle waschen. Aber heute lebt Martin Stern vom Weben, in erster Linie macht er Teppiche nach Maß.

Es gibt auch feine Stoffe für Tischwäsche

Der Wilfling

Seine Arbeit übt er nicht nur mit großer Leidenschaft und unglaublichem Fachwissen aus. Er hat auch viel zu erzählen über verschiedene Webarten und Stoffe: „Ich bin ein Hobby-Historiker.“ Da gibt es zum Beispiel den Wilfling. Das ist ein Gewebe, das von der Struktur her an Jeansstoff erinnert. Die Kettfäden sind aus Leinen, das Gewebe ist aus Schafwolle, wobei jeweils ein Material auf einer Seite des Stoffes hervortritt und auf der anderen Seite im Hintergrund bleibt.

Der Wilfling ist ein robuster Stoff, der für Gebrauchskleidung verwendet wurde. Dabei soll das Stück so genäht werden, dass die Leinenfaser auf der Innenseite auf der Haut zum Liegen kommt und die Schafwolle außen.

Das ergibt eine wunderbare Kombination, die bei nasskaltem Wetter ideal sein dürfte. Stern erklärt: „Die Pflanze saugt das Wasser auf und die Tierfaser stoßt das Wasser ab“. Das ist so logisch, dass ich mich wundere, dass es mir noch nicht selbst in den Sinn gekommen ist. Er zeigt mir ein Stoffstück, das noch sein Großvater gemacht hat und legt eines daneben, das er selbst nach diesem Vorbild gewebt hat.

Direkter Vergleich zwischen Alt und Neu: unten liegt der 50 Jahre alte Stoff des Großvaters, obenauf der neue von Martin

Wilfling versus Goretex

Heute würde man von einer Skihose verlangen, dass sie „atmungsaktiv und wasserabweisend“ ist – genau das kann auch der Wifling. Ein wesentlicher  Unterschied zu den Hightechstoffen, aus denen heute Sportkleidung gemacht wird, liegt natürlich im Tragekomfort. Die kratzige Leinenfaser auf der nackten Haut sind wir nicht mehr gewohnt. Stern erklärt, dass er dieses Gewebe nicht nur aus dem Stubaital von seinem Großvater kennt, sondern auch aus anderen Regionen wie dem Montafon.

Wertvolle Rohstoffe

Flachs und Schafwolle waren die wichtigsten Materialien noch zu Zeiten seines Großvaters. Der hat sein Handwerk das Weben nach dem ersten Weltkrieg erlernt und ist von Hof zu Hof gezogen als Störweber. Dort hat er als selbständiger Handwerker die Garne gewebt, die die Bäuerinnen und Mägde versponnen haben. Die Rohstoffe wurden am Hof selbst produziert und jeder trug im Grunde das, was am eigenen Grund und Boden gewachsen war.

Damit genug Garn da war, musste früher auf den Höfen auch unentwegt gesponnen werden. Entsprechend wertvoll waren auch die Stoffe, jedes Kleidungsstück war unzählige Male geflickt. Es gab im Stubaital noch eine Handvoll anderer Weber, doch für alle war genug Arbeit da.

Am Webstuhl fürt Martin mit dem Schiffchen den Webfaden durch die Kettfäden

Der wandernde Störweber wird seßhaft

Der Großvater wurde dann in den 40er, 50er Jahren mit seiner eigenen Werkstätte „seßhaft“ und die Leute kamen mit ihrem Garn her, das er verarbeitete. Dann übernahm Martin Sterns Vater die Werkstätte und drückte ihr seinen eigenen Stempel auf. Das Weben von Stoffen für Kleidung war über viele Jahrzehnte das Hauptgeschäft.

Der Webstuhl fürs Grobe: hier entstehen robuste Schafwollteppiche

Die Produktpalette geht mit der Mode

Später kam dann der Fleckerlteppich. Ich erinnere mich daran, dass es die bunten und günstigen Teppiche in meiner Kindheit in jedem Haushalt gab. Sie galten als strapazierfähig und günstig und fanden vor allem im Vorraum oder der Küche Verwendung. Für einen Fleckerlteppich werden alte Kleidungsstücke zu Streifen geschnitten und zu langen Bändern zusammengenäht. Diese werden verwebt und es entstehen die bunten Fleckerlteppiche. „Das ist dann aber in den 70er, 80er Jahren sukzessive weniger geworden“, so Stern.

Er selbst entdeckte dann den Schafwollteppich als beliebtes Produkt. Der auch „Lechtaler“ genannte Teppich aus groben Schafwollschnüren mit Jutekern ist in vielen Tiroler Haushalten zu finden. Stern probiert immer wieder verschiedene neue Produkte aus, wie zum Beispiel bunte, mit den Fingern gehäkelte Sitzauflagen und Teppiche oder alle möglichen textilen Einrichtungsgegenstände auf Spezialwunsch. Außerdem lassen Hotels oder Brauchtumsgruppen bestimmte Produkte bei ihm weben.

Produktinnovation: Martin häkelt mit den Fingern aus den Schafwollschnüren bunte Sitzunterlagen

Ein Stück gute alte Zeit

Und dann sind da noch die Touristen. Der Besuch der Werkstätte ist für viele ein Highlight ihres Urlaubs. Bei Stern gibt es ein Stück gute alte Zeit. Das beste dabei: man kann nicht nur schauen, sondern auch kaufen. Wie lange denn die Lieferung brauchen würde, fragt eine deutsche Dame. Sie hat in der Werkstätte schon unzählige Handyfotos gemacht und sich nach einem ausführlichen Beratungsgespräch für eine gefilzte Schafwollsitzauflage nach Maß entschieden. „Ja, schon ein paar Wochen …“, meint Stern unbestimmt.

Obwohl man ihr ansieht, dass sie das Gegenteil denkt, sagt sie, dass ihr das gar nichts ausmache. Sicherlich malt sie sich schon aus, wie sich die Sitzauflage in ihrer Küche macht und wie sie ihren Gästen erzählt, wo sie das handgefertigte Einzelstück ergattert hat. Und dass es ein Weber angefertigt hat, dessen Werkstätte wie aus der Zeit gefallen wirkt. Ein Weber, der konsequent sein Ding macht und sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.

Genau das hat die Kundin nämlich erkannt: wenn man eines mit Martin Stern nicht machen kann, dann ist das, ihn zu drängen und zu stressen. So bereitwillig er Besuch an seinem Arbeitsplatz zulässt, so bestimmt ist er auch, was seine Work-life-Balance betrifft. Deshalb gibt es auch keine fixen Öffnungszeiten. Wenn die Weberei einmal geschlossen ist, könnte das unter Umständen am schönen Wetter liegen. Stern: „Wenn’s draußen schön ist, setz ich mich lieber aufs Rad.“

Mehr über die Weberei Stern findest du hier.

Da kann man noch viele Teppiche draus machen!

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