wolle färben
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Eine Frau und 1.000 Farben: Die Woll-Färberin aus Birgitz

Irina Adamski ist eine Geschichten-Erzählerin. Ihr Werkzeug dafür ist nicht die Sprache, sondern es sind Farben. Oder genauer: Farben und Wolle. In ihrer kleinen Werkstätte färbt sie Wolle von Hand und erfüllt damit die Wünsche von Menschen wie mir.

Es ist kein Geheimnis, aber für Erstbesucher muss ich es noch einmal sagen: Ich bin eine begeisterte Strickerin. Und zwar wieder. Denn seit das Internet Inspiration aus aller Welt bietet, hat sich für mich ein neues Universum aufgetan. Mehrfarbiges Stricken, unendliche Mustervarianten und nahtlose Pulloverkonstruktionen: plötzlich gibt es ungeahnte Möglichkeiten in Design, Technik und nicht zuletzt dem Ausgangsmaterial, der Wolle.

Wolle färben: Jeder Strang ist anders

Ich entdeckte ganz neue Qualitäten und Arten von Wolle. Zum Beispiel handgefärbte Wolle. Das Färben von Hand macht jeden einzelnen Strang individuell und besondere Spielereien möglich. Die Wollen sind oft mehrfarbig, haben rohweiße Anteile oder bunte Sprenkel und können beim Stricken zu spektakulären Farbverläufen kombiniert werden.

Die Wolle wird in der Form verkauft, in der sie auch gefärbt wird: in Strängen, die erst unmittelbar vor dem Stricken zur Knäuelform abgewickelt werden. Direkt am Strang kommt die Färbung am besten zur Geltung. Wie sie sich beim Stricken entwickelt, ist fast immer eine Überraschung.

Wolle färben in Frankreich, Irland, Uruguay und …

Als ich das erste Mal so eine Wolle haben wollte, war sie in den Wollläden meiner Heimatstadt Innsbruck nicht zu bekommen. Also recherchierte ich online und wurde am Ende unerwartet nah fündig. Denn die tollsten Färbereien gibt es nicht nur in Paris, Cork und Montevideo. Sondern auch in Birgitz, einem Ort mit knapp 1.500 Einwohnern und keine acht Kilometer von meinem Zuhause entfernt. In Birgitz liegt der Firmensitz von Rocksheep, der Wollfärberei von Irina Adamski.

Ich hatte Irina schon auf Handwerksmärkten gesehen. So richtig in mein Gesichtsfeld kam ihre Wolle jedoch erst jetzt, als mir dieser bestimmte Look der handgefärbten Wolle in den Social Media-Posts der internationalen Strick-Designerinnen auffiel. Irina hatte zu diesem Zeitpunkt schon seit einigen Jahren selbst gefärbt. Ihre Woll-Stränge verkauft sie seit 2016. Heute kann man sie auf Märkten, in Fachgeschäften, online und direkt bei ihr kaufen. Sie färbt auch auf Wunsch.

„Mein“ Orange

Das Angebot einer Wunsch-Färbung habe genutzt, als ich nirgendwo dieses eine Orange fand, das ich für einen Pullover im Sinn hatte. Ich wandte mich an Irina und befürchtete, dass sie genaue Pantone-Angaben brauchen würde. So etwas hatte ich nämlich nicht. Doch genau das macht sie nicht: bestimmte Farben reproduzieren oder eine Vorlage kopieren. Ich hatte also Glück: Zum Färben war ihr meine Beschreibung der Farbe in Worten lieber. Und sie traf mein Wunsch-Orange genau.

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Ein Arbeitsplatz zum Wolle färben

Einige Zeit später vereinbarten wir ein Treffen, damit wir uns austauschen und ich mir ihre Färberei anschauen konnte. Auf ihrer Website hält sie die Erwartungen klein und beschreibt ihre Werkstätte so: „kein hübscher Showroom, sondern ein Arbeitsplatz“. Dieser Arbeitsplatz ist in unmittelbarer Nähe zu ihrer Wohnung. Irina lebt mit ihrem Mann und zwei kleinen Kindern in einer Anlage mitten im Dorf. Das zur Wohnung gehörige Kellerabteil ist zur Färbe-Werkstatt umgebaut. Als wir nach einer Tasse Kaffee die Kellerstiege hinuntergehen, nimmt sie das Baby im Tragetuch mit. In der Werkstätte ist alles zweckmäßig und ordentlich. Auf einem Wäscheständer hängt gerade eine Färbung in Grüntönen, in großen blauen Ikeasäcken liegen kiloweise verkaufsfertige Wollstränge. Irina sagt: „Irgendwann habe ich mehr gefärbt, als ich selbst verarbeiten konnte. Dann habe ich eben mit dem Verkauf begonnen“.

Ein zweites Leben für Gastro-Ausrüstung

In der Werkstätte gibt es ein tiefes Waschbecken. Hier wäscht Irina die Wolle vor und nach dem Färben. Gefärbt wird in beheizbaren Edelstahlkesseln, die sie unter die Arbeitsfläche schieben kann. Sie erzählt, dass sie diese Kessel gebraucht gekauft hat. Die Kessel haben Deckel und mir wird klar, dass sie in einem früheren Leben als Buffet-Wagen Speisen warm gehalten hatten, bevor Irina sie zweckentfremdete und ihnen zu einer zweiten Verwendung verhalf.

Von der Idee zur Umsetzung

Irina trägt beim Färben zwei Paar Gummi-Handschuhe übereinander. Die schützen sie vor der Hitze und vor Verfärbungen auf der Haut. Vor dem eigentlichen Färben feuchtet sie die Wolle mit warmem Wasser und Essig an. Dann kommen die Woll-Stränge ins Farbbad. Je nach Farbe gibt es verschiedene Rezepturen und Temperaturen. Ein Großteil ihrer Palette besteht aus vier Farben: Gelb, Blau, Rot und Schwarz. Sie erklärt: „Es gibt zwar auch alle Farben fertig zum Anrühren. Aber da schläfst du ein“. Das Ergebnis allein ist es also nicht, was Irina an der Färberei reizt, sondern der ganze Vorgang und die Umsetzung ihrer Vorstellungen: „Manchmal kommt mir eine Idee, eine Abfolge von Farben. Dann muss ich einfach ausprobieren, wie es wird“.

Wie eine neue Farbe entsteht

Ihre Farben haben alle spezielle Namen. Eine ihrer eigenen Lieblingsfärbungen ist „Nach Acht“, ein Smaragdgrün über Rot. Die Idee zu diesen Farben kommen ihr „vor dem Einschlafen oder beim Stillen“. Manchmal versucht Irina, eine bestimmte Erinnerung mit einer Farbe festzuhalten. Die Farben kommen zu ihr, wenn sie ihre Gedanken schweifen lässt. Eine neue Farbkreation kann aber auch einen ganz praktischer Anlass haben: „Ich stehe in der Werkstätte und habe gerade noch ein bisschen Blau übrig. Dann überlege ich, was ich mit dieser Farbe machen kann“.

Vom Stricken zum Wolle Färben

Ich erfahre, dass sie sich die Färberei von Anfang an selbst beigebracht hat. Irina sagt: „Ich komme vom Stricken“ und zeigt mir mehrfarbige Norwegerpullover mit Rundpasse und ein beeindruckendes Stephen West-Tuch. Beim Stricken war sie irgendwann an einem Punkt angelangt, an dem sie eine bestimmte Farbkombination haben wollte, die sie nirgends bekam. So begann sie selbst mit dem Färben. Sie hat sich informiert und gelernt, wie man tierische Proteinfasern, also Wolle und Seide, im Kessel mit Hitze und Säure färbt.

Farben und Wörter

Manchmal entsteht beim Färben etwas Neues, mit dem sie dann in Produktion geht und das einen eigenen Namen bekommt. Ihre Farben heißen Limoncello, Clarity oder Dolorosa. Irina ist gelernte Sprachwissenschaftlerin und sagt: „Ich mag Sprachen, deshalb kommen mir beim Färben bestimme Wörter in den Sinn“. Mir gefällt die Idee, dass mich Irina nicht nur beim Stricken selbst inspiriert. Sondern dass ich vielleicht auch den einen oder anderen von Irinas Gedanken weiterspinne, wenn ich stundenlang ihre Wolle verstricke und der Name der Färbung bei mir eine Assoziationskette auslöst. Beim Färben geht es ihr so wie mir beim Stricken: „Wenn man genug Zeit hat, kann man den ganzen Tag so dahin färben“.

Ökotex-Standard und mulesingfreie Wolle

Irina färbt mit ökotex-zertifizierten Pigmenten. Diese Wolle kann auch unbedenklich für Babys verstrickt werden. Irina: „Das Wasser, das ich am Ende wegschütte, ist durchsichtig und sauer, wie stark verdünnter Essig“. Sie verarbeitet Wolle vom Merinoschaf, natürlich mulesingfrei, Maulbeerseide und strapazierfähiges Nylon, das in jede Sockenwolle gehört.

Vier Grundfarben und ein Kellerabteil

Vieles habe ich übers Wolle Färben erfahren, als wir die Werkstätte wieder verlassen. Ich bin ziemlich beeindruckt davon, wie wenig Irina braucht, um solche Ergebnisse zu erzielen: vier Grundfarben und ein Kellerabteil mit Wasseranschluss. Als sie beim Hinausgehen ihren Schlüssel hervorkramt, ist das Baby noch immer zufrieden im Tragetuch. Bevor sie zusperrt, hält Irina noch einmal inne.

Ich bin schon auf dem Weg zur Stiege nach oben, als ich sie meinen Namen rufen höre. Sie sagt: „Such dir doch eine Wolle aus!“ Ich zögere nur kurz und nehme dann das großzügige Angebot gerne an. Ich gehe zurück in die Werkstätte, lasse meine Hände in den Ikea-Sack und über die weiche Wolle gleiten. Ich finde einen Strang „Nach Acht“. Ein kräftiges Grün verschwimmt auf der Wolle stufenweise zu einem sanften Lila-Rot-Braun, bevor es sich zu Türkis und endlich wieder in das ursprüngliche Grün verwandelt. Ich weiß es jetzt schon: Wenn diese Farbwechsel beim Stricken über meine Finger gleiten, werden sie mich bestens unterhalten.

Freu dich auf Post von mir!

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