Fisser Gerste
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Fisser Gerste: Eine 100 Jahre alte Landsorte mit Zukunft

Drei Männer entdecken eine alte Getreide-Sorte ihrer Vorfahren neu. Inzwischen wird die Fisser Gerste wieder vielfach angebaut.

“Früher gab es Zeiten, da haben auf unserem Hof 16 Personen gelebt. Die haben alle essen müssen und das bei einer Eigenfläche von 5,3 Hektar”, sagt der Tösener Bauer Gebhard. Die ersten Aufzeichnungen über seinen Hof sind 400 Jahre alt. “16 Leute musst du erst einmal ernähren – das geht nur mit Getreide”, so Gebhard. 

Die Gerste ist eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Zur Zeit von Gebhards Vorfahren war sie wohl auch schon rund zweitausend Jahre alt. Gebhards Vorfahren haben die nahrhafte Gerste vermutlich zu Brei oder zu Gerstensuppe gekocht.

Ein Bauer findet zu den Wurzeln seiner Vorfahren

Seit einigen Jahren ist Gebhard zu den Wurzeln seines Erbhofs zurückgekehrt und baut wieder Getreide an. Neben Weizen, Dinkel und Roggen spielt dabei eine bestimmte Gerstensorte die Hauptrolle: die Fisser Gerste. Sie wurde vor fünf Jahren von einer Handvoll Pioniere wiederentdeckt und angebaut. Mit von der Partie waren in erster Linie neben Gebhard der Nachbarbauer Christian und der Sohn des ursprünglichen Züchters Herbert. Vom Hörensagen wusste man, dass es hier eine interessante alte Sorte gibt.

Robuste alte Sorte

Die robuste Gerste für raue Lagen war vor rund 100 Jahren entwickelt worden. Man wollte sie wieder aktivieren. Die Suche nach dem Saatgut gestaltete sich jedoch nicht ganz einfach. Reste waren zwar hier und dort noch vorhanden. Doch um Saatgut über so lange Zeit keimfähig zu erhalten, braucht es bestimmte Bedingungen. Zum Glück wurde man letztendlich in der Gendatenbank des Landes Tirol fündig. Dort bekam man 30 Kilogramm Saatgut. Damit startete man einen Anbauversuch. Gebhard: “Niemand wusste genau, wie es geht. Die Fisser Gerste war jahrzehntelang verschollen. Wir haben es dann einfach versucht.”

Je höher, je lieber

Das war der Startschuss für eine Erfolgsgeschichte: Fünf Jahre später im Jahr 2017 ernten 54 Bauern auf rund 65 Hektar Anbaufläche tirolweit Fisser Gerste. Aus den 30 Kilogramm Saatgut sind 180 Tonnen Ernte geworden.

So wurde die Fisser Gerste wieder zum Leben erweckt

Viele Faktoren haben der Fisser Gerste, die eigentlich “Tiroler Imperial Gerste” heißt, zum Durchbruch verholfen. Am Anfang waren Neugierde und Enthusiasmus: “Ich probier halt, was mich interessiert”, so Initiator Christian. Dass zu einem guten Ertrag mehr als der erfolgreiche Anbau gehört, dafür hatte sein Nachbar Gebhard gleich das richtige Gespür. Der gelernte Installateur und passionierte Bastler hat auf seinem Erbhof eigens für die neue/alte Sorte eine Trocknungsanlage gebaut: “Der Gebi hat alles getrocknet. Damit haben wir die erste Ernte gerettet”, so Christian. Dass die Fisser Gerste unmittelbar nach der Ernte vorgetrocknet werden muss, war nämlich nicht überliefert. Doch Gebhard hatte zum einen die Erfahrung mit Getreide und zum anderen die Intuition.

Mittlerweile kennt man die Fisser Gerste schon besser und weiß, unter welchen Bedingungen sie am besten gedeiht. Gebhard: “Sie mag vorwiegend magere Böden und keine fetten, humusreichen. Da wird sie zu hoch und fällt um”. Nach dem Drusch sät er umgehend Sommerwicke. Das nimmt den Unkrautdruck vom Acker und bringt Nährstoffe in den Boden.

Brot und Bier

Die Fisser Gerste ist eine zähe Sorte, die es gern rau mag. In der Zwischenkriegszeit wurde sie in Peru auf bis zu 4.000 Meter Seehöhe angebaut. Aktuell gibt es Anbauversuche in Tansania. Ob sie dort nachhaltig Fuß fassen kann, wird sich zeigen. Hierzulande wird sie inzwischen nicht nur im Tiroler Oberland angebaut, sondern auch im Ötztal, am Mieminger Plateau, im Wipptal und im Inntal Richtung Osten im Raum Innsbruck bis nach Hall.

Hinsichtlich Ertragsbilanz kann die zweizeilige Fisser Gerste freilich nicht mit anderen modernen Getreidesorten mithalten. Sie ist ein klassisches Nischenprodukt und eine schöne Ergänzung für bäuerliche Nebenerwerbsbetriebe, die über die entsprechende Fläche verfügen. Wichtigster Abnehmer ist eine Brauerei. Dort wurde ein eigenes Rezept für ein Hausbier entwickelt, das die besonderen Eigenschaften der Fisser Gerste nutzt. 

Eiweißhaltig und geschmackvoll

Ganz einfach war es allerdings nicht, eine gute Rezeptur für das Bier zu finden, denn die Fisser Gerste zeichnet sich durch einen hohen Eiweißgehalt aus. Durch ihre Eigenschaft stark zu schäumen gibt sie sich in der Verarbeitung widerspenstig.

Whiskey aus Fisser Gerste

Mit ähnlichen Problemen hatte ein Edelbrenner zu kämpfen. Seine kleine Destillerie in Prutz brennt Whisky aus der Fisser Gerste. Was nach mehreren Versuchen auch gelang. Der Gerstenbrand ist mittlerweile preisgekrönt. Außer in Bier und Brand kommt die Fisser Gerste noch in der Gastronomie zum Einsatz. Neben der Gerstlsuppe schmecken der Gerstenrisotto oder das Brot genauso gut wie die Würste, in die ein Prutzer Metzger das Getreide mischt.

Professionelle Verarbeitung der Fisser Gerste

“Regionales Getreide wird stark nachgefragt”, so Peter Frank, Bezirksstellenleiter der Bezirkslandwirtschaftskammer Landeck. “Die inneralpinen Trockenlagen sind ein ideales Anbaugebiet. Allerdings braucht es dafür auch das Know-how. Außerdem sind die Produzenten gefordert, sich überbetrieblich zu organisieren und für die Bauern muss eine tatsächliche Wertschöpfung entstehen”.

Gemeinschaft bündelt Interessen im Getreideanbau

Dazu ist eine entsprechende Infrastruktur nötig. Diese wurde 2017 mit dem Bau des Getreidezentrums Flaurling geschaffen. Betrieben wird die Anlage von der Tiroler Saatbaugenossenschaft, die 102 Mitglieder zählt und 1947 gegründet wurde. Hier wird Saatgut für Getreide und Erdäpfel vermehrt. Die Verarbeitung – wie die Reinigung, Trocknung, Entspelzung – wird professionell erledigt. Außer konventionellen Sorten spielen dabei gerade alte Landsorten eine große Rolle. 

Fisser Gerste als Nischenprodukt für Bauern

Die Fisser Gerste hat sich mittlerweile als sympathisches Nischenprodukt etabliert und bietet vielen Tiroler Bauern ein interessantes Zusatzeinkommen. Zu ihrer Erfolgsgeschichte gehören neben der Anfangsinitiative der drei Pioniere die technischen Möglichkeiten, die das Getreidezentrum bietet und die richtigen Partner, die sich von der Begeisterung über das Produkt mitreißen lassen und am Ende der Konsument, der regionale Produkte mit Geschichte schätzt.

Dabei stellt sich die Frage: Ist die Fisser Gerste nun ein löblicher Sonderfall oder könnte der Getreideanbau in Tirol wieder an Bedeutung gewinnen? Einzelne Bäcker haben bereits größere Projekte mit heimischem Getreide erfolgreich umgesetzt und Konsumenten kaufen im Einzelhandel gerne hiesigen Hafer.

Niedriger Selbstversorgungsgrad bei Getreide

Der Selbstversorgungsgrad bei Getreide liegt in Tirol jedoch bei weniger als einem Prozent. Entwicklungspotenzial ist demnach jedenfalls vorhanden. Könnten nun auch andere Sorten den Weg der Fisser Gerste beschreiten? Daran glaubt jedenfalls der zuständige Bereichsleiter der Tiroler Landwirtschaftskammer Wendelin Juen: “Die Infrastruktur ist vorhanden. Der nächste Schritt ist nun, eine entsprechende Produktion mit den Partnern zu machen. Ich gehe davon aus, dass der Getreideanbau in Tirol wieder zunimmt.” 

Die Geschichte des Getreideanbaus in Tirol

Getreideanbau spielte einst eine wichtige Rolle in Tirol. Betrugen die Anbauflächen im Jahr 1950 noch rund 9.000 ha, so sind sie 2010 auf 400 Hektar geschrumpft. Die Fisser Gerste zeigt, dass der Anbau durchaus mit Erfolg belohnt wird.

Am Anfang stand das Engagement von ein paar experimentierfreudigen Pionieren aus dem Oberen Gericht. Es traf dann auf genossenschaftlich organisierte Infrastruktur. Nicht zuletzt war auch die entsprechende Nachfrage vorhanden. Heute profitieren 54 landwirtschaftliche Betriebe von einem schönen Nebenverdienst. Und alle freuen sich über deftige Gerstensuppe und köstliches Hausbier.

Der Seppeler-Hof geht an die nächste Generation

Über die Wiederentdeckung der Fisser Gerste habe ich vor wenigen Jahren an anderer Stelle einen ähnlichen Beitrag verfasst. Als ich den Getreidebauern Gebhard für diesen Beitrag auf alteswissenneu.at kontaktiere, erzählt er mir, dass inzwischen sein Sohn den Hof übernommen hat. Das Familybusiness von seinem Hof ist nun um eine weitere Generation gewachsen.

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