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„Unsere Generation ist in die schönste Zeit hineingeboren“

Die Bergbäuerin Rosa hat sich nie um Trends und Moden gekümmert. Es gab Zeiten, da wurde sie dafür kritisiert. Heute gilt sie als Vorbild und ein lebendes Archiv für altes Wissen.

In ihrem Dorf ist Rosa eine Institution. Sie war viele Jahre Seminarbäuerin. Hat Koch- und Handarbeitskurse geleitet und ist im ganzen Tal bekannt. Mit ihren gut 70 Jahren ist sie heute noch aktiv und übt das Amt der Dorfchronistin aus. Wer etwas über ihr Dorf und seine Menschen wissen möchte, geht zu Rosa. Ich selbst bin zu Rosa gekommen, weil sie vieles weiß und kann, was mich interessiert. Sie ist nicht nur eine Spezialistin für die regionale Geschichte des Dorfes und des Tals. Sie kennt auch alte Kochrezepte und weiß, wie man früher Strümpfe gestrickt oder Patschen gemacht hat. Sie weiß, wie man aus dem, was gerade verfügbar ist, alles machen kann, was man zum Leben braucht.

Der lebendige alte Erbhof

Auf meinen Besuch ist Rosa bestens vorbereitet. Sie bittet mich in die Stube. Sie ist stolz darauf, dass der alte Erbhof so gut in Schuss ist. Das Bauernhaus liegt auf 1.500 Höhenmetern und ist 300 Jahre alt. Rosa und ihrem Mann wäre es nie in den Sinn gekommen, das zu machen, was in den letzten 40 Jahren mit vielen alten Bauernhäusern passiert ist: es abzutragen und ein neues hinzustellen. Der Erbhof steht da wie vor Jahrhunderten, nur eben mit dem ganzen Komfort des 21. Jahrhunderts. Die Stube könnte genauso in einem Höfemuseum zu sehen sein, mit einem großen Unterschied: sie ist bewohnt und lebendig, bestens gepflegt und im täglichen Gebrauch.

Gemüse, Kräuter und Blumen: in Rosas Bauerngarten gedeiht das alles auf 1.500 Meter Seehöhe

Kräuter aus dem Bauerngarten

Während unseres Gesprächs serviert Rosa Tee von Kräutern aus ihrem Garten und selbstgebackenes Brot. Ich fühle mich sofort wohl und spüre: Rosa ist eine unkomplizierte und großzügige Gastgeberin. Sie zeigt mir das, warum ich gekommen bin, nämlich ein paar ihrer Werkstücke: Trachtenstutzen, Jacken, Hausschuhe. Ich darf mir auch ihr Arbeitsmaterial anschauen. Die Schusterleisten für die Patschen hat sie gebraucht erstanden, die komplizierten Muster für die Strümpfe hat sie von einem Ausflug in die Steiermark mitgebracht. Hinter jedem einzelnen Ding steckt eine ganze Geschichte.

Ewige Liebe und der Lebensbaum

Bei Rosas Werkstücken fällt mir sofort die Perfektion in der Ausführung auf. Vom Stricken verstehe ich selbst etwas und weiß, was es bedeutet, dermaßen makellose Strümpfe zu produzieren. Es sind unglaublich aufwendige Muster. Ich rechne mir aus, dass ich wohl an die 70 Stunden an so einem Paar sitzen würde – ein hochkonzentriertes Arbeiten mit ständigem Maschenzählen. Das macht das Stricken zu einer meditativen Arbeit. Die Muster haben Namen wie „ewige Liab“ oder „Lebensbaum“. Ich stelle mir vor, wie die Strickerin die guten Wünsche, die sich hinter den Namen der Anleitungen verbergen, in die Socken mit hineinstrickt. An Rosas Strümpfen sehe ich keinen einzigen Fehler.

„Die Mama ist neben mir gesessen“

Ich glaube, dass Rosa als Seminarbäuerin eine gute und strenge Kursleiterin war. Sie sagt, dass sie selbst viel von ihrer Mutter gelernt hat: „Die Mama ist neben mir gesessen und hat mir auf die Finger geschaut. Sie hat gleich kritisiert, wenn es nicht gepasst hat“. Und Rosa wollte es unbedingt richtig machen: „In der Haushaltungsschule war ich sehr ehrgeizig. Die Lehrerinnen haben am Abend die Sicherung ausgeschaltet, weil ich in der Nacht noch gearbeitet habe und die anderen nicht schlafen konnten“. Ich stelle mir Rosa als junges Mädchen vor, wie sie die ganze Nacht gestrickt hat. Ein junges Gesicht und dieselben Zöpfe wie heute.

„Mein Leben will ich selbst gestalten“

Wegen dieser Zöpfe hat Rosa schon viel Kritik einstecken müssen. Die Zöpfe galten als nicht mehr zeitgemäß: „Einmal haben sie mir eine Frisörin geschickt, damit ich mir die Haare abschneiden lasse. Als Lehrerin könnte ich nicht so altmodisch daherkommen, hat es geheißen. Aber ich habe gesagt: Ich warte so lange, bis die Jungen wieder Zöpfe haben. Und jetzt haben sie wieder Zöpfe“. Die Frisörin musste unverrichteter Dinge wieder fahren. Rosa ist der Meinung: „Wenn ich jemandem nicht gefalle, muss er mich ja nicht anschauen. Ich bin eine Persönlichkeit und jeder soll so ausschauen und tun, wie er will“. Sie erklärt mir: „Grundsätzlich akzeptiere ich jede Persönlichkeit, will aber auch mein Leben selbst gestalten. Das ist mein Leben und das lebe ich so, wie ich will“. Das macht Rosa auch heute noch. Dass das möglich ist, dafür ist sie dankbar: „Unsere Generation ist in die schönste Zeit hineingeboren. Das wussten wir auch zu schätzen. Die Eltern haben uns ihr Schicksal erzählt“.

Das Alte und das Neue nutzen

Rosa lebt ihr Leben dort auf traditionelle Weise, wo es für sie Sinn macht. Genauso nutzt sie auch die Werkzeuge der modernen Kommunikation. Wir schreiben uns Emails, sie recherchiert im Internet und pflegt Online-Kontakte in die ganze Welt. Die Stube zeigt gleich, dass das das in Rosas Leben kein Widerspruch ist: An der Wand neben dem Kachelofen hängen Bilder von verstorbenen Verwandten, daneben steht ein Laptop mit Internetverbindung. Rosa ist auch sonst aktiv. Sie leitet seit 25 Jahren ein regelmäßiges Zusammentreffen von Frauen aus dem Region im Pfarrsaal der nächsten großen Gemeinde. Es gibt Vorträge zu aktuellen Themen und gemeinsame Ausflüge. Rosa legt großen Wert auf diesen Austausch: „Bei Kuchen und Kaffee wird die Kommunikation zwischen den Generationen gefördert.“

Die Dinge des Alltags schätzen

Zu Rosas Lebenseinstellung gehört auch eine bestimmte Wertschätzung den Dingen gegenüber. Dabei geht es ihr vielleicht weniger um eine wirtschaftliche Notwendigkeit, als um eine grundsätzliche Einstellung: „Ich kann nichts wegwerfen, was man noch verwerten kann. Ursprünglich habe ich das gemacht, um Geld zu sparen. Wir haben mit wenig angefangen und das geschätzt, was wir hatten“. Vieles war selbstgemacht, weil es anders nicht verfügbar war. Das war mit einem großen Aufwand verbunden.

Rosa in ihrem Bauerngarten. Auch der Zaun ist selbst gemacht

Beim Gehen stricken

Es gab immer etwas zu tun: „Alle Socken und Pullover wurden selbst gestrickt. Wenn man zu Freundinnen zum Hoangascht gegangen ist, hat man immer Arbeit mitgenommen“. Auch beim Gehen hat Rosa gestrickt: „Wenn man mit den Kindern spazieren gegangen ist, habe ich immer meine Socken mitgenommen. Frei gehen, das hat es nicht gegeben. Wenn Feriengäste vorbeigefahren sind, die Ausflüge gemacht haben, blieben viele stehen und haben fotografiert, wie ich beim Gehen stricke“.

Alles ist ein Kreislauf

Rosa und ihr Mann haben vier Kinder großgezogen. Alle sind erwachsen und leben ihr eigenes Leben. Rosa ist stolz darauf, dass alle eine höhere Schule bzw. ein Studium absolviert haben. Der Jüngste lebt mit seiner Familie am Hof. Er hat die Landwirtschaft übernommen und bewirtschaftet den Hof wie seine Eltern im Nebenerwerb. Ein anderer Sohn lebt und arbeitet in Wien. Rosa erzählt, dass dessen Frau, also ihre Schwiegertochter, heute wieder die Kleidung selbst näht und flickt. Rosa: „Alles ist ein Kreislauf. Irgendwann besinnen die Leute sich wieder auf die alten bewährten Sachen. Wir haben früher nichts weggeworfen und alles geflickt“. Früher war man dabei auf die alte Jacke angewiesen. Heute geht es beim Flicken eher um ein nachhaltiges Leben. Für Rosa sind das zwei Seiten ein und derselben Medaille.

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